21.02.2012

Depression und Burnout – Symptome einer schwachen Unternehmenskultur

Burn out SymptomeBurnout hat tatsächlich etwas mit Schwäche zu tun – nur zielt die Zuschreibung des Versagens meist einseitig auf die Symptome bei den Betroffenen. Wenn Mitarbeiter ausbrennen, ihre Leistung abfällt und am Ende sogar die längerfristige Krankschreibung unvermeidlich wird, hat das jedoch in den seltensten Fällen nur mit einem mangelhaften persönlichen Umgang mit Stress und Mehrfachbelastungen zu tun. Vielmehr stellen viele Unternehmen ihren Angestellten unbewusst Fallen, in die gerade besonders eifrige Mitarbeiter tappen. Schuld daran ist nicht zuletzt der Mythos Motivation, dem viele Unternehmen auch heute noch blind aufsitzen. Doch die gute Absicht kann sich leicht in ihr Gegenteil verkehren. Hohe Leistungsbereitschaft nämlich kann sich kontrapoduktiv auswirken, wenn sie nicht an Unternehmenswerte gebunden ist, die neben dem Profit auch die Mitarbeiter in Betracht ziehen.
Welche Fehler können Unternehmen vermeiden? Und wie können Mitarbeiter lernen Grenzen zu ziehen?

Mitarbeiter sind keine Duracell-Häschen

Nicht selten meinen die Personalverantwortlichen in den Unternehmen es sogar gut, wenn sie ihren Mitarbeitern regelmäßige Motivationsspritzen verpassen. Leistungsabhängige Bezahlung, Incentives und Auszeichnungen sind in manchen Branchen durchaus geeignet, einen gesunden internen Wettbewerb anzukurbeln und Mitarbeitern zu suggerieren, dass sich ihre Anstrengungen lohnen. Die Strategie „Belohnung“ verkehrt sich jedoch in ihr Gegenteil, wenn sie dazu missbraucht wird, Höchstleistung im Dauerzustand abzurufen.
Ein Sportler, der zwischen den Wettkämpfen auf Regeneration verzichtet und unablässig im Wettkampfmodus trainiert, verzeichnet auf kurz oder lang einen Leistungsabfall und setzt sich einem erhöhten Verletzungsrisiko aus. Wenn die tägliche Arbeit ein nicht enden wollender Sprint ist, ergeht es Mitarbeitern genauso – je nach persönlicher Konstitution früher oder später.
Ein Blick auf die ursprüngliche Definition des Burnout-Syndroms, die der New Yorker Psychoanalytiker Dr. Herbert Freudenberger schon 1974 formulierte, gibt Aufschluss über die seelischen Angriffspunkte der Überforderung: Burnout beschreibt demnach einen Zustand, „in dem der produktive Kreislauf aus Herausforderung, Bewältigung, Befriedigung und Motivation nachhaltig gestört ist.“ Das resultierende Gefühl der Lähmung überträgt sich in Form der typischen Burnout-Symptome von der Seele auf den Körper. Die Betroffenen, seelisch und physisch erschöpft, beginnen sich zurückzuziehen – bis hin zur völligen Interesselosigkeit an jedweder Aktivität. Irgendwann ist ein zeitweiser oder gar langfristiger Ausbruch aus dem Arbeitsleben keine freie Wahl mehr, sondern eine unausweichliche Selbsterhaltungsmaßnahme.

Die Schwäche beginnt im Unternehmen

Wenn Unternehmen sich mit gesundheitlichen Ausfällen von Mitarbeitern infolge von Burnout, aber auch anderen Depressionserkrankungen konfrontiert sehen (die heute leider häufig mit dem Burnout gleichgesetzt werden), ist das Kind meist schon in den Brunnen gefallen. Die Verantwortung für einen Burnout liegt selten allein beim Betroffenen, und jede Unternehmensführung muss heute daran interessiert sein, auf organisatorische Warnzeichen zu achten, um frühzeitig gegensteuern zu können. Denn die Fallen für die Mitarbeitergesundheit lauern oft gerade in den „weichen“ Unternehmensbereichen, die gern ignoriert werden – überall da, wo die Unternehmenskultur eine entscheidende Rolle spielt. Schwächelt die Organisation an diesen Stellen, schwächeln irgendwann auch die Mitarbeiter.
Die Zusammenlegung von Arbeitsbereichen, die Technisierung von sperrigen Arbeitsabläufen und die steigenden Anforderungen bei gleichzeitig schrumpfenden Mitarbeiterzahlen sind nur einige Merkmale moderner Arbeitskultur, die vielerorts eine Neuorientierung der Arbeitsprozesse notwendig machen. Die Folge ist, dass die Verantwortung für die Gesundheit der Mitarbeiter immer öfter in Bereichen liegt, die chronisch vernachlässigt werden: Echtzeit-Kommunikation und flexible Arbeitsstrukturen sind ebenso notwendig wie unbeliebt in der Chefetage.
Mit den steigenden Anforderungen wächst auch das Verantwortungsgefühl gerade der hoch motivierten Mitarbeiter. Dieser individualisierte Erfolgsdruck – jeder Mitarbeiter gefühlt ein Unternehmer – bildet den optimalen Nährboden für den Burnout. Dennoch lassen viele Führungskräfte das Verantwortungsdogma bewusst zu oder fördern es sogar: Sie schielen auf kurzfristige Bilanzen, die vermeintlich ihren eigenen Erfolg spiegeln, nicht aber auf den einzelnen Mitarbeiter, der den Erfolg erst möglich macht. Solange hohe Belastung auch hohe Ergebnisse zeitigt, nehmen viele Bosse das Ausbrennen ihrer Mitarbeiter billigend in Kauf.
Zu kurz gedacht. Auch wenn es Sie überraschen mag: In einem Arbeitsumfeld, das auf gemeinschaftsorientierten Werten statt auf maximaler Effizienz aufbaut, sinkt die Ausfallquote ganz automatisch – bei gleichzeitig steigenden Erfolgsaussichten. Funktionierende Wertmuster als Impulsgeber für Teamstrukturen sind nämlich in der Lage, falschen Gewichtungen im Unternehmen ausgleichend zu begegnen.

Symptome des Wertemangels erkennen heißt Burnout vermeiden

Burn out Symptome

Bei der Frage nach Verbesserungsmöglichkeiten lohnt es sich, bei Freudenbergers Definition des Syndroms zu verweilen. Auf den „produktiven Kreislauf“, der ihr zugrunde liegt, können nämlich Unternehmen wie Angestellte unmittelbar Einfluss nehmen. Einige Ansätze, die Führungskräften wie betroffenen Mitarbeitern Anhaltspunkte liefern können:

Herausforderung

Der Begriff der Herausforderung kann von Unternehmen sehr positiv belegt werden, wenn er dafür verwendet wird, den besonderen Einsatz der Mitarbeiter in schwierigen Situationen zu fördern. Wenn von der Führung jedoch im Dauerzustand suggeriert wird, dass schon der reguläre Arbeitsalltag eine Herausforderung darstellt, der nur die Stärksten standhalten, sind Enttäuschungen vorprogrammiert. Die Mitarbeiter beuten ihre Leistungsreserven dann gezwungenermaßen bis zum Anschlag aus und gewöhnen sich daran, dass das der Normalzustand sei. Natürlich kann das nicht gut gehen.
Herausforderungen sollten gezielt und zeitlich begrenzt gesetzt und unbedingt als Teamaufgabe definiert werden. Der gemeinsame Erfolg kommt so nicht nur dem Ergebnis zugute, sondern fördert auch den Zusammenhalt. Ein so erprobtes Team kann die „Erfolgsstrategie Gemeinschaft“ bei der nächsten Herausforderung wieder abrufen und lernt, seine Kräfte zu verteilen und gezielt einzusetzen.
Mitarbeiter müssen vor allem darauf achten, sich von der Inflation des Begriffs Herausforderung nicht beirren zu lassen. Suggeriert Ihnen Ihr Vorgesetzter bei jedem Gespräch neue Herausforderungen und erwartet von Ihnen, jedes Mal vor Begeisterung zu entflammen, lernen Sie seine Wortwahl zu hinterfragen. Unter Umständen gibt er einfach ungefiltert den Druck von ganz oben an Sie weiter. Lassen Sie sich nicht darauf ein, noch dem banalsten Nebenkriegsschauplatz all ihre Energien zu widmen, als ginge es täglich um Ihre Existenzberechtigung.

Bewältigung

Ein erfolgreicher Bewältigungsmechanismus beruht auf einer klaren Zielvorstellung und dem Gefühl, auf dem Weg dahin nicht allein zu sein. In einer echten Teamkultur weiß jeder, wofür er sich ins Zeug legt. Ist diese Orientierung klar, ziehen alle an einem Strang, und internes Konkurrenzdenken wird überflüssig. Nur dann sind Mitarbeiter imstande sich so zu organisieren, dass individuelle Stärken gezielt eingesetzt und dafür Entlastungen geschaffen werden können, ohne dass ein Gefühl der Ungleichverteilung aufkommt. Führungskräfte dürfen nicht Herausforderungen in die Luft werfen und dann teilnahmslos abwarten, während sich die Mitarbeiter im Zuständigkeitsgerangel zerfleischen. Eine klare Aufgabenverteilung, die die Stärken Einzelner würdigt – ausgegeben von einem Chef, der sie auch vorlebt – kann Wunder bewirken.
Mitarbeiter dürfen sich nicht blenden lassen: Wenn selbst alltägliche Abläufe nicht mehr zu bewältigen sind, liegt das meist nicht an eigener Unfähigkeit, sondern an einer falschen Arbeitsorganisation, die häufig durch wahnwitzig schematisierte Abläufe zustande kommt. Scheuen Sie sich nicht, Flaschenhälse und Fehlverteilungen anzusprechen und bitten Sie Ihren Chef, Ihr Arbeitsgebiet klar zu umreißen.

Befriedigung

Eine Unternehmen mit klarem Wertebild erkennt man an zufriedenen Mitarbeitern. In einer Unternehmenskultur, die auf Gemeinschaftlichkeit beruht, stellt sich die Befriedigung nach jeder erfolgreich bewältigten Herausforderung automatisch ein, weil wir gemeinsame Erfolge als erfüllender wahrnehmen. Für die Führung bedeutet das: Führungskräfte müssen dafür sorgen, dass gemeinsame Erfolge auch gemeinsam genossen und gefeiert werden können. In unablässigem Dauerstress ist das Empfinden von Zufriedenheit gar nicht möglich, und die innere Kündigung greift unabwendbar um sich wie ein Virus.
Viele Mitarbeiter müssen ihrerseits erst wieder lernen, dass ein Unternehmenserfolg auch eine persönliche Bereicherung sein kann und nicht einfach achtlos übergangen werden darf. Mit jeder bewältigten Herausforderung steigt Ihr Wert als Mitarbeiter. Seien Sie sich dieser Steigerung bewusst und erlauben Sie sich nach besonders stressigen Phasen, das Nachlassen des Drucks bewusst zu empfinden. Wenn Sie tage- oder wochenlang Überstunden machen mussten, lassen Sie das nicht gleich zur Gewohnheit werden, als ob es selbstverständlich sei. Denken Sie daran: Befriedigung empfinden Sie nur, wenn Sie es sich erlauben. Nehmen Sie Ihre Leistungen wieder bewusst wahr und belohnen Sie sich, selbst wenn Ihr Chef das nicht tut.

Motivation

Motivation um der Motivation willen, die nicht an konkrete, für Mitarbeiter relevante und nachvollziehbare Werte angebunden ist, kann nur das Placebo einer wertorientierten Unternehmenskultur sein. In meinem Buch „Wir statt Gier – Aufbruch in eine neue Ära der Wirtschaft gehe ich u. a. ausführlich auf den Unterschied zwischen echten Werten und Feigenblättern als Symptomen heuchlerischer Unternehmenskommunikation ein. Wertfreie Motivationsfloskeln sind – gerade ausgebrannten Mitarbeitern gegenüber – geradezu zynisch und werden als abgehoben und realitätsfern wahrgenommen. Das ist gefährlich: Verlieren die Motivationsmaßnahmen der Führung ihre Glaubwürdigkeit, geht die Identifikation mit dem Unternehmen verloren, was das Ausbrennen beschleunigen kann. Die eigene Aufgabe als sinnlos wahrzunehmen ist eines der frühen Symptome des Burnout.
Bis zur Erschöpfung überforderte Mitarbeiter brauchen keine Motivation, sondern reale Unterstützung. Sie müssen erkennen, dass es der Unternehmensführung mit den gemeinschaftlichen Unternehmenswerten ernst ist – zum Beispiel durch flexible Arbeitszeitmodelle, Anpassungen des Verantwortungsbereichs und Programme zur Mitarbeitergesundheit, die nicht einseitig auf die Steigerung der Leistungsfähigkeit, sondern tatsächlich auf das Wohlergehen der Mitarbeiter ausgelegt sind.
Der wichtigste Motivationsfaktor eines Unternehmens jedoch ist und bleibt die offene Kommunikation, gerade auch über Hierarchieebenen hinweg. Ein häufiges Missverständnis ist, dass Angestellte am besten mit finanziellen Anreizen zu locken seien. Weit gefehlt: Geld ist NICHT der ausschlaggebende Faktor der Mitarbeiterzufriedenheit (PDF, S. 16), wie globale Untersuchungen zeigen. Eine Unternehmenskultur hingegen, die auf offener Anerkennung und Respekt beruht, trägt zur Mitarbeiterbindung ebenso bei wie zur mentalen und physischen Gesundheit.
Ein weiteres häufiges Missverständnis ist, dass Burnout nur durch Überforderung entstehen könnte. Vielmehr kann auch die Unfreiheit, die besonders Führungskräften aus ihren administrativen Aufgaben erwächst, eine Gefahr darstellen: Fehlt High-Performern der Raum zum Ausleben ihrer Fähigkeiten, entsteht nach einiger Zeit ein Gefühl der seelischen Unterforderung. Die Erfüllung bleibt aus und Frustration macht sich breit. Bis zu den ersten handfesten Burnout-Symptomen ist es dann oft nicht mehr weit.

Ethik ist gesund: Werte gegen Burnout

Was zeichnet eine Unternehmenskultur aus, die Symptome der Erschöpfung bei den Mitarbeitern frühzeitig erkennen und ausschalten kann? Welche Philosophie verfolgen Unternehmen, in denen es gar nicht erst soweit kommt?
Welche Werte das Unternehmen im Einzelfall auch prägen: Eine Arbeitskultur, die auf Achtsamkeit und Gemeinschaftlichkeit beruht, ist Trumpf – heute, und mehr noch in Zukunft. Beides lässt sich durch Kommunikation erzielen.
Eine Führungskraft, die mit ihren Mitarbeitern in offenem Austausch steht, kann Symptome des Ausbrennens frühzeitig erkennen. In einer flexiblen Organisationsstruktur kann das Management darüber hinaus ohne große Verzögerungen reagieren, bevor es zum Ernstfall kommt – und so auch Leistungseinbrüche in der Belegschaft vermeiden.
Ein zweiter Schritt muss sein, die Versprechen zu überprüfen, die jedes Unternehmen seinen Mitarbeitern gibt: Ist das Employer Branding auf Teamwork und Flexibilität ausgerichtet – und beides ist heute praktisch Pflicht –, ohne dass die Arbeitskultur diese Versprechen einlöst, sind Enttäuschung, Frustration und seelisches Ausbrennen sogar schon bei neuen Mitarbeitern vorprogrammiert.
Burnout, Depressionen und andere seelische Erkrankungen kommen nie aus dem Nichts oder dem Betroffenen allein, sondern haben immer einen systemischen Nährboden im Unternehmen. Führungskräfte müssen lernen, auf Leistungsschwankungen in ihrem Team sensibel und konstruktiv zu reagieren. Mitarbeiter müssen lernen, auf sich zu achten und Symptome keinesfalls zu ignorieren. Kein Projekterfolg, keine Beförderung ist die massive gesundheitliche Bedrohung wert, die ein Burnout für den Einzelnen darstellt.

Handlungsempfehlung: Achtsamkeit für Symptome ist die beste Burnout-Prophylaxe!

Jeder Mitarbeiter, ob Führungskraft oder einfacher Angestellter, sollte die Gebote der Achtsamkeit und Gemeinschaftlichkeit befolgen. Innerhalb eines Teams lässt sich manches bewältigen, was dem Einzelnen über den Kopf zu wachsen droht. Vor allem aber sollten Sie nie in die Falle tappen, ihre eigenen Grenzen zu missachten. Begegnen Sie Herausforderungen auf angemessene Weise und finden Sie Ihren eigenen Bewältigungsmodus für stressige Situationen. Sorgen Sie aber auch dafür, dass Sie noch in der Lage sind, stressärmere Zeiten wahrzunehmen und sich für bewältigte Herausforderungen zu belohnen. Wenn die Grenzen zwischen Anspannung und Entspannung nicht mehr wahrnehmbar sind, ist es höchste Zeit zu kommunizieren.

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Eine Antwort zu Depression und Burnout – Symptome einer schwachen Unternehmenskultur

  1. Danke für den sehr interessanten Artikel. Gerne mehr zu diesem Thema, VG Alexander Reyss

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