13.06.2012

Diversity Management: Brücke in die Zukunft

Diversity Management als Brücke in die ZukunftDas Diversity Management ist kein Exot mehr unter den Management-Werkzeugen – seine Bestimmung wird es jedoch erst erfüllt haben, wenn es überflüssig geworden ist. In vielen deutschen Unternehmen arbeiten inzwischen Menschen mit unterschiedlichsten kulturellen Hintergründen zusammen. Ein deutscher Familienvater, ein Inder und ein Schwuler im selben Team? Keine Seltenheit mehr. Unternehmen, in denen solche Gruppen erfolgreich zusammenarbeiten, ergreifen meist gezielte Maßnahmen zur Integration. Moment mal: Integration? Über diesen Punkt sind wir längst hinaus, könnte man meinen. Weit gefehlt: Im Arbeitsalltag mit all seinen sozialen Aspekten und zwischenmenschlichen Stolperfallen herrscht vielerorts noch längst keine Selbstverständlichkeit. Diversity Management ist schon deshalb unverzichtbar für die meisten Unternehmen – und es liegt noch viel Arbeit vor uns.

Diversity als Normalfall: Karriere unterm Regenbogen

Wohl denen, die in einem der Betriebe arbeiten, die sich aktiv um die Akquise und Integration internationaler, schwuler oder lesbischer Mitarbeiter bemühen. Insbesondere große und internationale Unternehmen haben längst erkannt, dass bestimmte Bevölkerungsgruppen nicht nur attraktive Zielgruppen sind. Auch in der Belegschaft ist Vielfalt ein Wettbewerbsvorteil. Gerade wer heterogene Zielgruppen bedient, tut sich keinen Gefallen damit, bei der Personalpolitik im Sinne vermeintlicher Harmonie auf Einheitsbrei zu setzen.

So sehr wir uns wünschen, über dieses Thema gar nicht mehr gesondert diskutieren zu müssen: Bei allem Fortschritt ist es leider noch längst nicht überall soweit.

Deshalb ist es gut, dass es Veranstaltungen wie die jährliche MILKMESSE in Berlin gibt: „Die etwas andere Job- und Karrieremesse für Schwule, Lesben und Heteros“. Schon diese Kurzbeschreibung zeigt, dass hier die Verhältnisse umgekehrt sind: Die LGBT-Community ist hier nicht in der Minderheit, sondern in der Überzahl. Die Unternehmen, die sich auf der MILK präsentieren, sind keineswegs nur die, die einfach nur die Kaufkraft der LGBT-Zielgruppe im Auge haben. Unter den Ausstellern und Vortragenden sind Firmen mit einem maximal breit gefächerten Spektrum an Kunden und Branchenbeziehungen, wie Deutsche Post DHL, Allianz, Deutsche Bank, Google, IBM, McKinsey, Boston Consulting Group und Daimler.

Diversity im Büro: Gehemmte Potenziale befreien

Warum aber sind die Marktführer so engagiert im Diversity Management? Ganz einfach: Die Firmen, bei denen Diversity wirklich zum unternehmerischen Selbstverständnis gehört, haben schon heute einen klaren Wettbewerbsvorteil. Warum? Zum einen, weil der Markt nicht grau ist, sondern bunt. Das gilt heute nicht mehr nur für bestimmte Marktsegmente in den Creative Industries, sondern für beinahe alle Konsumgüter und Services. Wer die Marktbedürfnisse einer diversen Zielgruppe nicht erst verstehen lernen muss, sondern direkt aus der Belegschaft heraus nachvollziehen kann, ist am Markt und bei der Kundenbindung schneller und treffsicherer als die Konkurrenz.

Zum anderen, und da kommt die zentrale Bedeutung des Diversity Managements zum Tragen, sind nur glückliche Mitarbeiter gute Mitarbeiter. Wer sich der Unterstützung seines Arbeitgebers und seines Teams nicht sicher sein kann, versteckt sich im Zweifel. Und wer seine Persönlichkeit vor dem Team verbirgt, kann sich nicht einbringen. Angestellte, die permanent darauf bedacht sind, nicht „entdeckt“ zu werden, befinden sich in einem Zustand der Selbstkontrolle: Sie vermeiden die offene Kommunikation und Beziehungsbildung und schließen sich selbst von Aktivitäten aus, die ins Private hineinreichen.

Ein schwuler Banker etwa, der sich am Arbeitsplatz nicht geoutet hat, wird nicht mal eben zum Feierabendbier mit den Jungs aus der Abteilung gehen. Die plaudern dort nämlich ausgelassen über ihr Privatleben und ihre Freundinnen, und wer nicht mitredet, fällt negativ auf. Ganz selbstverständlich vom eigenen Freund zu sprechen, der zu Hause wartet, scheint dem schwulen Kollegen zu gefährlich: Er befürchtet, sich damit zum Außenseiter zu machen und auch bei seiner Karriere Nachteile zu erleiden. Für ihn fühlt es sich, umgeben von lauter „Hetero-Männern“, so an, als müsste er etwas „gestehen“, was ihm selbst Angst macht – im schlimmsten Fall zu Recht, je nach Einstellung der Kollegen.

Also grenzt er sich lieber ab. Damit erreicht er genau das, was er vermeiden wollte: Er wird zum Außenseiter. Weil er dadurch im Arbeitsalltag massiv gehemmt und benachteiligt ist, bleibt seine Leistungsbereitschaft und –Fähigkeit mit Sicherheit unter seinen Möglichkeiten. Einem ausländischen oder andersgläubigen Mitarbeiter, der sich  nicht traut, seine Kultur offen zu leben, ergeht es nicht anders.

Auf diese Weise bleiben in den Unternehmen riesige Kreativitäts- und Leistungspotenziale liegen, weil Persönlichkeiten nicht zur freien Entfaltung kommen. Es ist deshalb die vordringliche Aufgabe des Diversity Managements, dafür zu sorgen, dass niemand sich verstecken muss und jeder einzelne Mitarbeiter zur Offenheit ermutigt wird. Das bedeutet vor allem Aufklärung: Berührungsängste und Konflikte resultieren in aller Regel aus Unwissenheit. Führungskräfte müssen heute in der Lage sein, kulturelle Blockaden aufzuweichen, Bildungslücken auszugleichen und Vorurteilen informiert entgegenzutreten.

Weitere Beispiele von gelungenem Diversity Management, Inclusion und damit erfolgsversprechenden Unternehmenskulturen finden Sie auf der Facebook-Gruppe

Diversity im Leitbild: Vielfalt durchsetzen

In einem Unternehmen, dass die Vielfalt seiner Angestellten gezielt willkommen heißt und fördert, weiß die Minderheit sich im Zweifel auf der sicheren Seite: Gehört Diversity zum Wertegerüst des Unternehmens, muss eine lesbische Frau sich keine Sorgen darüber machen, von den heterosexuellen Männern in ihrer Abteilung schief angesehen oder gar aktiv benachteiligt zu werden. Wird die Integration konsequent implementiert und überwacht, gibt es keinen Raum für Diskriminierung. Unternehmen, die sich Diversity auf die Fahne geschrieben haben, sollten nicht zögern, bei Verstößen gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung zu harten Maßnahmen zu greifen.

Das neue Wertebewusstsein in den Unternehmen verschafft den Mitarbeitern neue Freiheiten, die aber auch mit neuer Verantwortung einhergehen müssen. Wenn Unternehmen wertebasiert einstellen, müssen sie auch wertebasiert beurteilen. Wenn Kollegen etwa nicht einsehen wollen, warum der schwule Kollege die gleichen Rechte genießt – zum Beispiel Vergünstigungen oder Versicherungen für gleichgeschlechtliche Partner –, der hat nichts in einem Unternehmen zu suchen, das Diversity zu seinen Grundwerten zählt. Wenn nur Toleranz aufgesetzt wird, anstatt Gleichberechtigung im Alltag zu leben, handelt es sich um ein Feigenblatt der Unternehmens-PR, das nicht zukunftsfähig ist. Schon heute können Unternehmen ihrem Ruf mit solcher Doppelzüngigkeit massiv schaden. Wer Diversity sagt, muss auch Diversity leben – und dafür sorgen, dass der Gedanke Gleichberechtigung auf allen Ebenen des Unternehmens ankommt.

Diversity in der Unternehmenskultur: Besser bunt

Warum von diesen Veränderungen letztlich alle profitieren, lässt sich am Erfolg von Unternehmen ablesen, in denen Mitarbeiter ermutigt werden, ganz sie selbst zu sein – wer immer sie sind. Im Untertitel seines Buches Delivering Happiness benennt Tony Hsieh, Gründer des milliardenschweren amerikanischen Online-Schuh- und Kleidungsversands Zappos, drei Grundpfeiler für den Erfolg seines Unternehmens: „A Path to Profits, Passion, and Purpose“.

Die Profite erklären sich von selbst, aber tatsächlich: Es sind die Leidenschaft und die Sinngebung des Jobs, die die Angestellten bei Zappos voran- und die Umsätze in die Höhe treiben. In den Büros der Firma in Nevada geht es durchaus ungewöhnlich zu: Während der Superhero Week etwa laufen Angestellte im Spiderman-Kostüm herum. Einige Schreibtische gleichen eher privaten Schreinen, übersät mit geliebten Souvenirs oder Spielzeugen. Im offenen Großraumbüro wird laut gelacht, Wasserbälle fliegen durch die Luft, Papierschlangen liegen kreuz und quer auf dem Fußboden. In dieser Firma ist nichts wie in anderen Firmen, denn hier gibt es keinen Einheitsbrei und schon deshalb keinen tristen Arbeitsalltag. Jeder Angestellte wird ausdrücklich dazu ermuntert, sich frei zu fühlen, sich auszuleben und sein Herz in der Hand zu tragen.

CEO Tony Hsieh weiß warum: „Delivering Happiness“ ist nicht nur Marketing-Slogan, sondern gelebte Unternehmenskultur bei Zappos. Und Hsieh ist der Meinung, dass das Versprechen, Glück frei Haus zu liefern, nur Angestellte einlösen können, die selbst glücklich sind. Leidenschaft – „Passion“ – kann nur freisetzen, wer sich frei fühlt. In einem Klima, wo jeder er selbst sein darf, fühlt sich niemand benachteiligt. In einer Unternehmenskultur, in der der gemeinsame Zweck („Purpose“) auch gemeinsamen Spaß bedeutet und ausgelassen gefeiert werden darf, will jeder seinen Teil zum Erfolg beitragen. Was das für die „Profits“ bedeutet, liegt auf der Hand.

An einem Ort, an dem selbst ein Buchhalter im Superman-Kostüm nicht weiter auffällt, muss niemand Angst vor Ausgrenzung haben, muss niemand seine Persönlichkeit verstecken.

Wer in einer solchen Unternehmenskultur Außenseiter bleibt, der will es nicht anders – und wird auch bei Zappos nicht glücklich werden. Die selbstverständliche Offenheit birgt somit noch ein weiteres Korrektiv, dessen Bedeutung nicht zu unterschätzen ist: Diversity darf nicht heißen, dass der Minderheitenstatus zum Selbstzweck wird und sich über den gemeinsamen Zweck erhebt. Wer die Außenseiterrolle kultiviert und sich nur über seine Zugehörigkeit zur Minderheit definiert, diskriminiert umgekehrt ebenfalls die Kollegen. Wer Integration auf diese Weise verweigert und die Teamentwicklung blockiert, wird in der Arbeitswelt der Zukunft genauso schlechte Karten haben wie der aus Unwissenheit rassistische Abteilungsleiter und der latent schwulenfeindliche Personalchef.

Diversity Management in Zukunft: Am besten ohne

Schwule Männer und lesbische Frauen leben längst nicht mehr nur in versiegelten Communitys, in denen sie keine Ausgrenzung zu befürchten haben. Viele meiden die Beschränkung auf die Subkultur auch bei der Freizeitgestaltung gezielt, um die gesellschaftliche Akzeptanz voranzutreiben. In Berlin etwa ist niemand mehr auf schwule Clubs beschränkt, nur weil er schwul ist – genauso wenig wie schwule Clubs Heteros die Tür weisen würden.

In den meisten Unternehmen ist diese Selbstverständlichkeit leider noch nicht angekommen. Die wenigsten Angestellten, zumal Führungskräfte, bringen ihre gleichgeschlechtlichen Partner ganz selbstverständlich mit zur betrieblichen Weihnachtsfeier. Dass keine offene Diskriminierung stattfindet heißt noch längst nicht, dass die Integration gelungen wäre: Solange Angestellte, die Minderheiten angehören, sich nicht als völlig gleichberechtigt empfinden, brauchen wir das Diversity Management als aktives Werkzeug der Integration in den Unternehmen. Solange lesbische Frauen sich zweimal überlegen, ob sie sich am Arbeitsplatz outen oder diesen Teil ihrer Identität verstecken, brauchen wir Veranstaltungen wie die MILK, damit diese Angestellten sich gut aufgehoben fühlen und bei der Arbeit ihr volles Potenzial entfalten können.

Den Unternehmen, die sich dieser Chance verweigern, gehen diese Potenziale derweil verloren. Wie in der Politik braucht es auch in der Wirtschaft heute mancherorts noch die mutigen Vorreiter, damit andere nachziehen. Zum Glück verschieben sich die Parameter zusehends: Seit die Ära des neuen Wertebewusstseins in der Wirtschaft angebrochen ist, entdecken auch immer mehr kleine und mittlere Unternehmen den Sinn hinter erfüllter Arbeit, die von einem „Wir-Gedanken“ getragen wird. In der Arbeitswelt der Zukunft wird irgendwann der Punkt erreicht sein, wenn niemand sich mehr verstecken muss. Dann brauchen wir keine MILK-Messe mehr, weil deren Initiatoren ihre Ziele erreicht haben. Und auch das Diversity Management hat seine Bestimmung erst dann wirklich erfüllt, wenn es sich selbst überflüssig gemacht hat. Doch bis dahin ist noch ein gutes Stück Weg zu gehen.

Wie steht es um die Gleichberechtigung in Ihrem Unternehmen? Wie effektiv ist das Diversity Management Ihres Arbeitgebers? Die folgenden Checklisten geben Ihnen Denkanstöße – ob Sie zur Mehrheit in der Belegschaft gehören oder zu einer Minderheit.

Diversity-Check I: Impulsfragen für die „Mehrheit“

  • Achtet Ihr Unternehmen bei der Mitarbeiterakquise gezielt auf Diversity-Aspekte?
  • Ist Diversity in der Zusammensetzung der Belegschaft spürbar? Haben Sie ausländische, andersgläubige, offen schwule oder lesbische Kolleginnen oder Kollegen?
  • Wenn es solche Kollegen gibt: Unternimmt die Führung aktiv Bemühungen, den Wert der Vielfalt der gesamten Belegschaft nahezubringen?
  • Haben Sie das Gefühl, dass diese Kollegen mit ihrer kulturellen oder sexuellen Identität offen umgehen oder sich verstecken?
  • Sind die Teams bzw. Loyalitäten innerhalb Ihres Unternehmens eher homogen oder eher heterogen – bilden sich also Subkulturen innerhalb des Unternehmens, die eine wirkliche Durchdringung der Belegschaft von Diversity verhindern?
  • Stehen Sie selbst mit diesen Kollegen in einer ähnlich offenen, vertrauensvollen Beziehung wie mit anderen Teammitgliedern?
  • Denken Sie an die betriebliche Weihnachtsfeier oder andere Anlässe, die ins Private hineinreichen: Würden Irritationen entstehen, wenn ein schwuler Kollege seinen Lebenspartner mitbringt?

 

 

Diversity Check II: Impulsfragen für die „Minderheit“

  • Gehen Sie mit Ihrer kulturellen oder sexuellen Identität am Arbeitsplatz offen um?
  • Müssen Sie selektieren, wem Sie wie viel über sich anvertrauen, weil Sie sonst Repressalien fürchten?
  • Reden Sie im Kollegenkreis ebenso offen und unbefangen über Ihr Privatleben wie Ihre Kollegen?
  • Kennen Ihre Kollegen Ihre Partnerin/Ihren Partner, und würden Sie sie oder ihn zur Weihnachtsfeier mitnehmen, ohne sich Sorgen über die Reaktionen der Kollegen zu machen?
  • Haben Sie bei Maßnahmen des Diversity Managements das Gefühl, dass nur der wirtschaftliche Aspekt der kulturellen Unterschiede für den Arbeitgeber interessant ist (etwa Zielgruppenkenntnisse), oder geht es auch um Ihre persönliche Entfaltung?
  • Erfahren Sie im gleichen Maß Wertschätzung von Ihren Vorgesetzten wie Kollegen, die nicht einer Minderheit angehören?
  • Wie schätzen Sie, die entsprechende Qualifikation vorausgesetzt, Ihre Chancen auf eine hohe Führungsposition in Ihrem Unternehmen ein?

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