Die politische Wertekultur hat aufgrund ihrer Doppelzüngigkeit massiv an Glaubwürdigkeit eingebüßt. Anstatt für die Demokratie einzustehen und vorausschauend Stellung zu beziehen, stolpern westliche Regierungen den freiheitlichen Revolutionen auf der Weltkarte hinterher und werden im Anschluss nicht selten als deren Saboteure entlarvt. Was sagt diese scheinbare Orientierungslosigkeit aus über die politische Führungselite, und welche Erkenntnisse für Führungsarbeit im Allgemeinen können wir daraus ableiten?
Abdel Hakim Belhadsch ist als Führer der Rebellentruppen in Libyen zum Verbündeten der westlichen Alliierten bei den Bemühungen um den Sturz Muammar al-Gaddafis geworden. Das war nicht immer so, wie Spiegel online kürzlich berichtete: Noch 2004 hatten die USA und Großbritannien Belhadsch festgenommen und nach dessen Aussage im Zusammenhang mit den Ereignissen des 11. September 2001 verhört – Folterpraktiken, so der Rebellenführer, inbegriffen.
Und nicht nur das: Kürzlich wurde bekannt, dass britische und amerikanische Geheimdienste sogar wiederholt mit dem Gaddafi-Regime zusammengearbeitet haben sollen – unter anderem bei der Auslieferung ihres heutigen Verbündeten Belhadsch an Gaddafi, so Spiegel online.
Die Freiheit kann warten: Doppelzüngigkeit in der Politik
Was auf den ersten Blick wie ein politischer Irrtum aussieht, scheint durchaus ein Muster westlicher Außenpolitik zu sein: Selbst Saddam Hussein war ein Verbündeter der USA in der Golfregion, bevor er zum Staatsfeind wurde. Auch an ihren guten Verbindungen zum ehemaligen Staatspräsidenten Ägyptens, Husni Mubarak, hielt der Westen bis kurz vor dessen Sturz fest.
Die deutsche Bundesregierung etwa wendete sich erst von dem Tyrannen ab, als der Erfolg der freiheitlichen Erneuerung aus der Mitte der ägyptischen Gesellschaft heraus besiegelt war. Und begrüßte die Entwicklung im Nachhinein ganz ausdrücklich: „Heute ist ein Tag großer Freude“, kommentierte Angela Merkel den Rücktritt Mubaraks und unterstützte rückwirkend die Demonstranten: In den Augen der Ägypter könne man sehen, „welche Kraft die Freiheit entfalten kann.“
Die Doppelzüngigkeit hinter diesen Äußerungen ist erschreckend, wenn man bedenkt, wie sich Angela Merkel noch im Januar dieses Jahres auf einer gemeinsamen Pressekonferenz über die Beziehungen der Bundesregierung zum Mubarak-Regime geäußert hatte: „Ich darf sagen, dass zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Ägypten traditionell sehr enge freundschaftliche Beziehungen herrschen und wir auch in vielen Bereichen miteinander kooperieren.“ Auch dann, wenn es gegen die Freiheit geht, scheint es: 30 Jahre lang hatte auch die deutsche Bundesregierung gegen Mubaraks Diktatur wohl wenig auszusetzen, solange man „freundschaftlich kooperierte“ – das ägyptische Volk war bei seiner Befreiungsaktion bis zum Schluss auf sich gestellt.
An guten, nicht an schlechten Tagen: Doppelzüngigkeit in der Diplomatie
Betrachtet man die aktuellen politischen Verschiebungen auf der Weltkarte, fällt auf: Die „freiheitlichen“ Regierungen scheinen dem Freiheitswillen der Völker grundsätzlich hinterher zu stolpern, anstatt sich zu seinen Agenten zu machen. Welchen Werten aber folgt Außenpolitik dort, wo noch keine freiheitliche Wertekultur herrscht, wenn nicht dem der demokratischen Erneuerung? Die Führungskräfte der demokratischen Staaten, so scheint es, treten oft als Blockierer des Wandels in Erscheinung.
Diplomatie scheint zu bedeuten, dass man zur Not auch Diktatoren den Kotau macht – bis die Macht sie verlässt. Ist eine Revolution nicht mehr aufzuhalten, entdecken Staatschefs scheinbar ganz plötzlich die politische Bedeutung der Masse und beeilen sich, jedweden Umbruch zu begrüßen. Und sich urplötzlich auf die Seite der Erneuerung zu schlagen – selbst wenn sie gerade noch die Gegenseite unterstützt haben, die nun keinen brauchbaren Verbündeten mehr abgibt.
Kein Wunder also, dass Experten immer weniger Verständnis für Politiker aufbringen, die ihre Fähnlein heute hier und morgen dort in den Wind hängen: „Die Europäische Union und auch Deutschland müssen ihre doppelten Standards gegenüber den arabischen Staaten aufgeben“, forderte noch vor der Revolution in Ägypten die Nahostexpertin Sonja Hegasy in einem Interview über die Doppelzüngigkeit der EU-Außenpolitik.
Der Tod der Glaubwürdigkeit: Doppelzüngigkeit in der Führung
Aus dem Vertrauensverlust innerhalb der Bevölkerung, den die politische Kultur des Blockierens in den letzten Jahren verursacht hat, können auch Führungskräfte in der Wirtschaft viel lernen: Diplomatische Verwaschungen der Wertekongruenz und Doppelzüngigkeit etwa bei Machtspielchen in der Chefetage, insbesondere aber auch im mittleren Management, sind der Glaubwürdigkeit eines Unternehmens nach innen wie nach außen äußerst abträglich. Führung muss immer orientiert sein an verbindlichen Wertmustern; Erneuerung muss nötigenfalls immer auch gegen die „politische“ Macht statischer Interessengruppen durchsetzbar sein.
Wer Erneuerung fördert und gestalten hilft, wird auch an den Märkten der Zukunft die Chance haben etwas zu bewegen. Wer hingegen seine Glaubwürdigkeit durch Doppelzüngigkeit verspielt, indem er unausweichliche Veränderungen zu sabotieren versucht und die Richtung erst wechselt, wenn die eigene Machtposition auf dem Spiel steht, verliert seine Legitimation als Führungspersönlichkeit. In Zeiten wachsenden Wertebewusstseins bei Mitarbeitern und Kunden hat das Blockieren von Wandel als Führungsinstrument ausgedient.
Handlungsempfehlung: Ist Ihr Führungsstil frei von Doppelzüngigkeit?
Um Wandel im Unternehmen zu ermöglichen, müssen wir der Doppelzüngigkeit der Blockierer den Kampf ansagen. Dazu müssen wir zuerst immer uns selbst hinterfragen. Wie steht es um die Glaubwürdigkeit Ihrer Führungsarbeit? Handeln Sie bei Ihren strategischen Entscheidungen im Sinne der Unternehmensgemeinschaft oder im Sinne von Partikularinteressen? Können Sie Ihre Entscheidungen ohne Doppelzüngigkeit vor Ihren Mitarbeitern und Kunden vertreten?
danke, der FB Button ist schon in Arbeit…