30.01.2012

Berufe mit Zukunft – Chance oder Fluch?

Berufe mit ZukunftBerufe mit Zukunft werden Jobanwärtern in vielen Branchen angepriesen – doch wirtschaftspolitische Wettervorhersagen sind kein zuverlässiger Ratgeber. Diese Erfahrung machen nicht nur viele Berufseinsteiger nach einem enttäuschenden Start ins Arbeitsleben, sondern immer öfter auch Um- und Quereinsteiger. Die berufliche Biografie ist heute kein Dauerlauf mit klar erkennbarer Start- und Zielgerade mehr, sondern eher ein Orientierungsmarsch, bei dem wir immer wieder prüfend auf den Kompass schauen müssen. Immer mehr gestandene Mitarbeiter und auch Führungskräfte stellen mitten auf dem Karriereweg fest, dass sie heute vieles anders machen würden.

Gibt es so etwas wie einen Traumberuf oder Beruf mit Zukunft überhaupt? Wenn ja, was macht ihn aus? Und wenn nein – wie können wir dann ein erfülltes Berufsleben führen?

Den Beruf ausfüllen statt den Dienst erfüllen

Hilfestellungen für Menschen, die sich diese Fragen stellen, gibt es viele – das jährliche Heft „Berufswahl – Mein Weg in die Zukunft“ ist eine der Quellen, die sich speziell an Schulabgänger richten. In einem Grußwort in der Münchener Ausgabe des Hefts für 2012 schreibt die Sozialministerin des Landes Bayern, Christine Haderthauer, „kaum eine Entscheidung prägt die persönliche Zukunft so sehr wie die Berufswahl. Davon hängt es ab, ob sich Ihr künftiger Alltag interessant gestaltet, ob Sie gern in die Arbeit gehen, wie sich Ihre Einkommenssituation und damit die Verwirklichung von Wünschen entwickelt.“

An diesem Hinweis greift manches zu kurz, und anderes wiederum viel zu weit. Ist unser Job dafür verantwortlich, ob sich unser Alltag interessant gestaltet? Ich möchte das mit einem Erlebnis beantworten, das ich neulich im Supermarkt hatte: Auf der Suche nach frischem Ingwer wurde ich in den Regalen nicht fündig. Also fragte ich eine Angestellte danach. Ohne aufzublicken murmelte sie mürrisch: „Wenn’s nicht im Regal ist, haben wir’s nicht.“ Also fragte ich noch eine Angestellte. Und die erklärte mir mit einem breiten Lächeln, dass sie das Fach heute schon zweimal nachgefüllt habe, weil sich Ingwer in der Schnupfensaison verkaufe wie geschnitten Brot. Sie konnte auch keinen Ingwer mehr herbeizaubern, aber sie wusste nicht nur, wann am nächsten Tag eine neue Lieferung zu erwarten war – sie erklärte mir auch gleich noch, wie man einen Erkältungstee aus Ingwer zubereitet.

Beide sind Verkäuferinnen. Beide beim gleichen Arbeitgeber – in der gleichen Filiale. Beide haben ihre persönliche Wahl für einen Beruf mit Zukunft getroffen. Was glauben Sie, welche von beiden

  1. ihren Alltag interessant findet,
  2. gern zur Arbeit geht und
  3. in absehbarer Zeit mit besserem Verdienst befördert wird (wenn ihr Chef seine Sinne beisammen hat)?

Es ist nicht allein die Berufswahl, die darüber entscheidet, ob wir ein erfülltes Leben führen. Ob einer der so genannten Berufe mit Zukunft uns erfüllt, ist eine berechtigte Frage – viel wichtiger aber ist die, ob wir diesen Beruf ausfüllen können und wollen.

Bildung ja, aber …

Gerade im schulischen Kontext, wenn die Suche nach einem Ausbildungs- oder Studienplatz näher rückt, wird zuerst nach den Kompetenzen gefragt, die wir mitbringen. Das Bildungssystem neigt in seinem guten Willen, Schüler bei dieser Wahl zu unterstützen, leider noch immer dazu, vorrangig bei den bildungsfachlichen Kompetenzen anzusetzen und Schülern darauf basierend Ratschläge zu geben.

Bei einem guten Rechner liegt da schnell die Empfehlung eines Handelsberufs oder Wirtschaftsstudiengangs nahe – was die Jugendlichen in der Regel freuen wird, denn dort vermuten sie gute Verdienstmöglichkeiten: Bank- und Handelsberufe stehen ungebrochen weit oben bei Erhebungen der beliebtesten Berufe. Doch besonders raffiniert Kopfrechnen muss im Management heute kaum noch jemand sehr häufig. Gefragt sind dort zunehmend vielmehr Qualitäten, die auf den ersten Blick nichts mit den mathematischen Fertigkeiten, wie sie in der Schule vermittelt werden, zu tun haben: gute Kommunikatoren, Menschenkenner, Strategen und sogar Abenteurer. Nach solchen Kompetenzen aber fragen Schulen nur selten.

Berufe mit Zukunft = Erfolg im Beruf?

„Berufe mit Zukunft“ werden in diesem Orientierungsvakuum notgedrungen oft zur Krücke jener, die nicht wissen, was sie vom Leben erwarten und welchen gesellschaftlichen Beitrag sie selbst zu leisten imstande sind. Genau auf dieser Erkenntnis aber beruht die richtige Berufswahl weit mehr als auf der fachlichen Eignung und Prognosen über die Entwicklung des Arbeitsmarkts in einer bestimmten Berufsrichtung. Sich auf äußere Faktoren zu verlassen ist eine grundfalsche Herangehensweise beim Nachdenken über die persönliche Zukunft.

Jobs mit ZukunftWer weiß, ob der gewählte Berufsweg noch aussichtsreich ist, wenn das Studium abgeschlossen ist? Zu hoch ist die Abhängigkeit ganzer Branchen von politischen und ökonomischen Faktoren, als dass man sich darauf verlassen könnte. Eine steigende Kurve in Statistiken über „Berufe mit Zukunft“ ist noch keine Garantie für die Performance eines Wirtschaftszweigs in den Folgejahren; der vermeintliche Karrieregenerator Bankensektor etwa muss aufgrund der Finanzkrisen seit 2008 Stellen streichen, dass es Anwärtern wie Etablierten schwindlig werden kann – aus statistischer Sicht für die nächsten Jahre kann man hier aktuell kaum noch von einem Beruf mit Zukunft sprechen. Vor Jahren noch galt auch die Architektur als Berufszweig mit Zukunft. Das löste einen solchen Boom an Absolventen aus, dass heute Bewerbern in dieser Branche sogar hochkarätige Lebensläufe oft nichts mehr nützen. Viele leisten zu Hungerlöhnen oder gar als unbezahlte Praktikanten einen Frondienst. Sogar der klassische Traumberuf Pilot kann heute ein hartes Brot sein: Die großen Fluggesellschaften übernehmen nach der Ausbildung nur noch wenige Kandidaten. Viele, die sich für ihre Qualifikation hoch verschuldet haben, überwintern danach gegen vergleichsweise schlechte Bezahlung bei kleinen Airlines.

Doch nicht nur Prognosen über Berufe mit Zukunft können trügen, sondern auch die frühen Imperative des noch jungen Jahrtausends: Eine weit weniger gewichtige Rolle als erwartet spielt schon heute die Globalisierung bei der Berufswahl – was ein weiteres Argument dafür ist, Vorhersagen zur Entwicklung des Arbeitsmarkts nicht zu überschätzen. Galt geografische Mobilität noch bis vor kurzem als das Nonplusultra einer erfolgreichen Bewerbung, ist inhaltliche Mobilität schon heute von weitaus größerer Bedeutung.


Weitere Beiträge und Informationen rund um das Thema Berufsberatung und Berufswahl finden Sie bei  Themen > Berufsberatung. Unter anderem zur Bedeutung von Zielkonflikten und wie ich als Berufs- und Karrierecoach Ihnen weiterhelfen kann

Und was, wenn der Beruf mit Zukunft sich tatsächlich als Goldgrube entpuppt – uns aber dennoch nicht glücklich macht? Krankmeldungen, Burnout-Fälle und die Zahl der Kündigungen steigen seit Jahren rapide an. Dann muss sich, früher oder später, die Wirtschaft verändern und sich stärker am Menschen orientieren; ihm nicht nur Leistung abverlangen, sondern ihm erlauben, sich wertorientiert für eine Sache einzusetzen, die ihm Energie schenkt anstatt ihm Lebenskraft zu rauben.

Genau dieser Wandel nimmt aktuell Fahrt auf. In meinem Buch „Wir statt Gier – Aufbruch in eine neue Ära der Wirtschaft zeige ich auf, wie sich dadurch die Weichenstellungen für das Arbeitsleben der Zukunft verändern. Denn die Definition von wirtschaftlichem Erfolg entwickelt sich mit den Bedürfnissen der arbeitenden Menschen: weg von den eingefahrenen, hierarchisch orientierten Wegen und Abhängigkeiten hin zu einer Ausrichtung an unternehmensleitenden Werten und zunehmend auch gesellschaftlichen Anliegen. Auf diese Weise entstehen tatsächlich Berufe mit Zukunft, die, mit dem persönlichen Interesse an Werten ausgefüllt, nicht schutzlos kurzfristigen Schwankungen unterliegen. Im innovativen Kern der Unternehmenslandschaft wird an einer nachhaltigen Veränderung der Wirtschaft und Gesellschaft insgesamt gearbeitet – zum Wohl aller und nicht nur weniger.

Diese Entwicklung ist keineswegs auf die „sozialen Berufe“ beschränkt, sondern bildet einen branchenübergreifenden Trend ab; weil Zukunft nicht mehr politisch, sondern produktiv geprägt wird. In dieser „neuen“ Wirtschaft findet sich am besten zurecht, wer sich selbst als Bestandteil einer wertorientierten Gemeinschaft begreift und bereit ist nicht nur seinen Arbeitsvertrag zu erfüllen, sondern die Zukunft der Wirtschaft und der Gesellschaft mitzugestalten. Wer dieses Bewusstsein verinnerlicht, schafft sich nicht nur einen Beruf mit Zukunft, sondern auch einen erstrebenswerten Ausblick auf die Früchte seiner Arbeit.

Zukunft ist kein Beruf

Wenn wir also nach Berufen mit Zukunft fragen, müssen wir vor allem danach fragen, wie wir leben wollen – und wo wir mit diesem Lebensentwurf gut aufgehoben sind. Was in einem Beruf beginnt, kann sich einige Jahre später durchaus konsequent in einem anderen Beruf fortsetzen. Brüche im Lebenslauf sind heute längst an der Tagesordnung. Das heißt nicht, dass die Berufswahl unwichtig wäre, sondern vielmehr, dass ein einmal gewählter Beruf keine lebenslängliche Festlegung mehr bedeuten muss. Eine Biografie, die sich organisch aus dem individuellen Lebensweg ergibt, wird nie zufällig oder willkürlich sein – wenn wir von unseren persönlichen Voraussetzungen und Anliegen ausgehen. Berufe mit Zukunft basieren auf dem Einbringen von persönlichen Stärken, Talenten, Begabungen, Ansichten sowie einer Mischung aus externen Impulsen und innerem Antrieb. Auch innerhalb einer Branche gibt es heute unendliche Entwicklungsmöglichkeiten: Ein Berufszweig ist so vielfältig wie alle seine Mitwirkenden, Partner, Beziehungsgeflechte und Führungsgrundsätze.

Viel wichtiger als die Frage, welche Berufe mit Zukunft zum eigenen Zeugnis passen, ist also der Blick nach innen: Welche Wünsche habe ich nicht nur für mein eigenes Leben, sondern auch für die Zukunft der Gemeinschaft, mit der ich diese Wünsche teile? Welche Aspekte meines Lebens teile ich mit anderen? Welche gesellschaftlichen Themen sind für mich bedeutsam? Wo sind meine Werte verankert? Und wie kann ich diese Werte ausleben, meinen Beitrag für die Gemeinschaft Gleichgesinnter leisten und dabei produktiv sein? Erst dann stellt sich die Frage, wo das möglich ist, und ob sich damit genug Geld verdienen lässt.

Auch der Erfolg nämlich ist im neuen Wirtschaftszeitalter zuerst eine Frage der Wertorientierung, und erst dann eine Frage der Verortung und der dafür notwendigen Qualifikation. Dass das für die persönliche Berufswahl schon immer vorteilhaft war, zeigt eine Doppelseite aus dem eingangs zitierten Heft „Berufswahl 2012“. Dort erklären Prominente wie Michael Schumacher, Frauke Ludowig, Ilse Aigner und Kurt Beck, dass ihre Ausbildungen in herkömmlichen Lehrberufen wertvolle Stationen auf dem Weg zu ihren heutigen, teils ganz anders anmutenden Tätigkeiten waren.

Die Frage nach Berufen mit Zukunft kann nur eine Frage an uns selbst sein, nicht an Statistiker.

Handlungsempfehlung: Erst Werte finden, dann den Beruf!

Von äußeren Faktoren wie Prognosen über Berufe mit Zukunft sollte sich niemand leiten lassen. Vielmehr gilt es, die richtigen Fragen an uns selbst zu stellen und zu erkennen, worauf es bei der Berufswahl wirklich ankommt. Wichtiger als die Kompetenzen im Sinne von Bildung und Qualifikation ist das Reflektieren der eigenen seelischen Umstände, die die Grundlage der Berufswahl bilden. Wer nach Berufen mit Zukunft fragt, muss zuerst fragen, was Zukunft bedeutet: die Erfüllung der eigenen Wertvorstellungen in einer (Wirtschafts-) Gemeinschaft, die auf diesen Werten fußt. Wer seine Werte kennt, hat Zukunftsperspektiven. Und diesen Perspektiven ordnet sich die Berufswahl unter – nicht umgekehrt. 

Interviews und Gastbeiträge zum Themenbereich Beruf, Karriere und Erfolg finden Sie im Menüpunkt Veröffentlichungen

 

 

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