30.05.2012

Gesichter der Gier: Facebook und der Börsengang

Gesicher der Gier Facebook und der Börsengang

Mark Zuckerberg hat sich mit dem Börsengang von Facebook persönlich bereichert – doch Gier ist eine Falle, in die nicht nur Milliardäre tappen. Der Börsengang von Facebook wirft viele Fragen auf. Öffentlich gestellt werden allerdings nur solche, die sich auf die wirtschaftlichen Aspekte beziehen. Die Lenker von Facebook, mit Gründer Zuckerberg an der Spitze, haben die Facebook-Community hinters Licht geführt. Von Transparenz für die Nutzer und Privatanleger war beim Börsengang nichts zu spüren – die entscheidenden Informationen hatte scheinbar nur eine Gruppe von Eingeweihten. Doch setzt Gier wirklich Reichtum voraus? Ab welcher Stufe auf der Erfolgsleiter wird der Mensch käuflich?

Mark Zuckerberg: Von der Idee in die Gier-Falle

Mark Zuckerberg hat klein angefangen. Noch vor wenigen Jahren war er einer von vielen, die große Ziele haben: ein junger Visionär, der für seine Idee brannte. Was mit einem studentischen Netzwerk begann, wurde zu einer der größten, vermutlich zur bis dato größten Erfolgsgeschichte des Internets.

Doch irgendetwas ist Mark Zuckerberg unterwegs verloren gegangen. Von Visionen haben wir bei Facebook schon lange nichts mehr gehört. Das unterscheidet den 28-Jährigen von Pionieren wie Steve Jobs: Der setzte regelmäßig kleine und große Visionen in die Welt und führte sie zum Erfolg. Von Facebook aber hören wir seit Jahren nur noch im Zusammenhang entweder mit Datenskandalen oder mit Wachstumsprognosen.

Dass Innovation auf Zuckerbergs To-do-Liste nicht mehr oben steht, war spätestens klar, als das Unternehmen Schlagzeilen mit Schwarzem Marketing machte. Solche Praktiken der Konkurrenzbereinigung kennen wir von Großkonzernen der alten Schule. Im Kontext der neuen Wirtschaft, die sich am Gemeinschaftsgedanken einer nachhaltigen Wirtschaft orientiert, haben sie nichts zu suchen. Facebook hatte seither ein Jahr Zeit, seine Positionierung zu korrigieren und aus seinen Fehlern zu lernen. Geschehen ist das Gegenteil: Mit der Vorgehensweise beim Börsengang hat sich Zuckerberg endgültig zum Club der Haie bekannt. Facebook ist kein Unternehmen der neuen Wirtschaftsära. Facebook ist schon heute ein Dinosaurier. Tragisch ist daran vor allem, dass ein solches Unternehmen, das eine Vorbildfunktion für junge Start-ups hat und den Netzwerkgedanken entscheidend geprägt hat, ohne Rücksicht auf die Zukunft der Branche auf die falsche Seite überläuft.

Alte Gier im neuen Outfit

Erfrischend anders war beim Börsengang von Facebook höchstens das Outfit von Mark Zuckerberg. Der vollzog den monumentalen Moment in Jeans und T-Shirt. Das suggeriert Verlässlichkeit: Ich bin immer noch der junge Typ vom Campus, der einfach nur die richtige Idee zur richtigen Zeit hatte. Doch der unbedarfte junge Student ist Zuckerberg schon lange nicht mehr. Er agiert genauso kalkulierend, basisfremd und wertefrei, wie das Klischee von den gierigen Superreichen es nahelegt. Er hat keinerlei Scheu, Hunderte von Millionen von Fans, die seinen Erfolg tragen, im entscheidenden Moment im Regen stehen zu lassen, um Profit zu machen.

Facebook ist da, um Freundschaften zu pflegen. Wer sind die Freunde des Mark Zuckerberg? Wenn man sich anschaut, wer beim Börsengang profitiert hat, scheint der Gründer des Netzwerks vor allem mit Banken befreundet zu sein.

Wenn ein Unternehmen wie Facebook an die Börse geht, darf man eine breite Informationsstreuung erwarten. Doch die vielen Privatanleger, die die Aktie letztlich kauften, suchten im Live-Feed von Mark Zuckerberg vergeblich nach hilfreichen Informationen. Dass der Börsengang unter keinem guten Stern stand, hätten sie sonst schon viel früher wissen können.

Als der Kurs kurz nach dem Börsengang ins Bodenlose stürzte (insgesamt 18 Prozent Verlust in nur drei Handelstagen), hatte Mark Zuckerberg bereits reagiert: Noch kurz vor dem Absturz warf er einen großen Brocken seiner eigenen Anteile auf den Markt. Gewinn: 1,13 Milliarden Dollar. Wenig später brach die Aktie ein, und Tausende von Anlegern verloren Unsummen. Sie wussten nicht, was Zuckerberg wusste: Noch kurz vor dem Börsengang hatten Analysten die Wachstumsprognosen für Facebook gesenkt. Auch diese Information sucht man in der Timeline von Mark Zuckerberg vergeblich.

Schon im Vorfeld des Börsengangs war Facebook unsauber verfahren. Finanzchef David Ebersman hatte kurz vor dem Start die auszugebenden Aktien um 25 Prozent aufgestockt, was den Gewinn durch den Börsengang drastisch erhöhte. Die ausgebende Bank Morgan Stanley riet ihm nicht davon ab, obwohl das geboten gewesen wäre. Warum? Erstens: Michal Grimes, der das IPO bei Morgan Stanley managte, ist ein Freund von David Ebersman. Die beiden zogen den Börsengang im Wesentlichen gemeinsam durch. Zweitens: Die Bank verdient an jeder ausgegebenen Aktie mit. Kurzfristig hat sie somit ein größeres Interesse an der Maximierung der Aktienmenge als an einem stabilen Kurs.

Die Facebook-Enthusiasten: Für Gier verraten und verkauft

Nach der Finanzkrise ab 2008 sollten solche unethischen Spekulationen der Vergangenheit angehören. Das Gegenteil ist der Fall: Die Gier ist bei den Großbanken noch immer stärker als die Vernunft und das Interesse an der Stabilität der Finanzmärkte. Und Partikularinteressen haben dort noch immer Vorrang vor den Interessen der Aktionärsgemeinschaft. Zu der gehören bei Facebook vor allem viele kleine Privatanleger, die diese Praktiken im Vorfeld nicht zu durchschauen in der Lage sind. Sie sind es, die im Zuge des Börsengangs schamlos ausgenutzt wurden.

Geschäftskunden wie General Motors dagegen verfügten über genügend Insider-Wissen, um den Braten zu riechen. In den USA wurde es als frühes Warnsignal interpretiert, dass der Automobil-Gigant seine Werbung auf Facebook zu reduzieren gedenke. Im Gegensatz zu den privaten Facebook-Enthusiasten waren investierende Unternehmen von Morgan Stanley über die Senkung der Wachstumsprognose informiert worden. Den Privatanlegern dagegen hatten die ausgebenden Banken diese Informationen vorenthalten. Einige von ihnen reichten deshalb nur Tage nach dem Börsengang in New York Klage gegen Facebook ein mit der Begründung, entscheidende Informationen seien nur selektiv verbreitet worden.

Insidergeschäfte, Geheimniskrämerei, Täuschungsmanöver, Intransparenz, rücksichtslose Gewinnmaximierung Einzelner, Verletzung der Gemeinschaftsinteressen und Ignoranz gegenüber ethischen Regeln des Marktes: Das alles sind Symptome der Gier von Facebook wie von zahlreichen Konzernen der alten Schule des Turbo-Kapitalismus. Auch wenn Mark Zuckerberg den Börsengang an seinen Finanzchef Ebersman delegiert hatte: Dass er einen großen Teil seiner Aktien noch vor dem Kurseinbruch abstieß zeigt, dass auch er über die entscheidenden Informationen verfügte und als Unternehmensgründer nicht einschritt.

Hat Zuckerberg den Börsengang womöglich ganz bewusst jetzt, wo Facebooks Gewinne nachlassen, eingefädelt? Hat er das Vertrauen in seine Idee verloren? Was treibt ihn noch, außer den Milliarden – was ist übrig vom jungen Visionär, der ein Netzwerk ersann, das die Welt verändern sollte? Sogar politische Revolutionen haben stattgefunden, die Facebook als Werkzeug des demokratischen Wandels adelten. Jetzt aber, wo die Community auch wirtschaftlich von ihrer Begeisterung hätte profitieren können, wo Mark Zuckerberg etwas hätte zurückgeben können, bleibt nur der bittere Nachgeschmack der persönlichen Bereicherung.

Wir ließen Zuckerberg in unsere Wohnzimmer, und glaubten allein schon deshalb, er sei „einer von uns“. Jetzt müssen die Anleger erkennen, dass er vielmehr „einer von denen“ ist, die sich nur für den Profit interessieren, den sie aus uns schlagen können.

Gier macht vor niemandem halt

So berechtigt der Zorn der Anleger auf Zuckerberg ist: Gier ist kein Schwarzer Peter, den wir allein den Superreichen in die Schuhe schieben könnten. Die Gier von Facebook, die Gier von Mark Zuckerberg, ist eine Geschichte des persönlichen Werteverfalls. Man muss sehr hoch steigen und unterwegs sehr viele faustische Bünde eingehen, bis man auf dieser Stufe angekommen ist: Ein globales Unternehmen mit Millionen von Kunden für die persönliche Bereicherung zu missbrauchen. Keine von Gier motivierte Verfehlung, die wir uns in unserer alltäglichen Lebenswelt leisten könnten, ließe sich daran messen. Zuckerberg ist eben keiner von uns mehr, keiner von denen, die für ihre Aufgabe und ihre Idee brennen. Seinen Schuh müssen wir uns nicht anziehen: Wir sind nicht Zuckerberg.

Doch wir sind Menschen, und viele von uns sind Unternehmer oder unternehmerisch denkende Angestellte. Viele von uns brennen für eine Idee, wie Zuckerberg es einst tat. Und Gier ist eine Falle, in die jeder von uns tappen kann. Oft schnappt sie zu, ohne dass wir es sofort wahrnehmen. Gier fängt klein an, und schaukelt sich oft unbemerkt auf. Die wenigsten wissen genau, wo ihre persönliche ethische Schmerzgrenze verläuft. Wie oft muss man die gemeinschaftliche Orientierung außer Acht lassen und Partikularinteressen den Vorrang geben, bevor das eigene Wertegerüst nachhaltig kompromittiert ist? Ab wann wird der Mensch käuflich?

Die Gier-Falle: unkontrolliertes Wachstum

Auch ein Zuckerberg hat irgendwo auf dem Weg einmal zu oft fünfe gerade sein lassen. Das muss nicht kurz vor dem Börsengang passiert sein. Die größte Gefahr für die ethische Integrität eines Unternehmens, aber auch der Persönlichkeiten in diesem Unternehmen, ist unkontrolliertes Wachstum. Facebook ist innerhalb weniger Jahre aus einem Zimmer im Wohnheim heraus- und zu einem globalen Unternehmen von gigantischen Ausmaßen herangewachsen. Allein die Geschwindigkeit dieses Wachstums macht durchdachte Erwägungen zur ethischen Nachhaltigkeit der Unternehmenspraktiken unmöglich. Unternehmensgründer, die sich eine Erfolgsgeschichte à la Facebook wünschen, sollten sich fragen: Passt meine Strategie wirklich zu solch einem Wachstum? Ist meine Geschäftsidee unbegrenzt skalierbar, ohne dass unterwegs die ursprüngliche Idee verloren geht? Was ist wirklich das ultimative Ziel meines Unternehmens: Die Idee von Gemeinschaft und Vernetzung etwa, oder grenzenloser Gewinn?

Natürlich ist gegen Gewinnorientierung nichts einzuwenden: Welcher Gründer kann es sich schon leisten, aus purem Altruismus heraus zu arbeiten? Doch es gibt eine Grenze, wo der Wunsch nach wirtschaftlichem Erfolg mit der eigenen Idee in die Gier nach mehr umschlägt.

Glück braucht keine Gier

Eine Studie der amerikanischen Universität von Princeton hat gezeigt, dass diese Grenze nicht einmal in utopischen Regionen liegt: 60.000 Euro jährlich reichen laut den Initiatoren für das vollendete Glück. Natürlich sind die individuellen Vorstellungen von Glück und Wohlstand sehr unterschiedlich, und man darf solche Zahlen nicht überbewerten. Doch das Ergebnis lässt aufhorchen: Wenn 60.000 Euro jährlich einer statistisch relevanten Gruppe reichen, wofür arbeiten dann Milliardäre wie Zuckerberg, oder auch Manager mit sechs- und siebenstelligen Boni? Und warum kommen nicht mehr von ihnen auf die Idee, wie Tim Cook auf völlig irreale Millionen-Ausschüttungen aus Aktienwerten zu verzichten?

Gier ist eine einfache Antwort auf diese Fragen. Aber einfache Antworten müssen nicht falsch sein. Mark Zuckerberg jedenfalls muss schon längst nicht mehr arbeiten, um sich ein angenehmes Leben leisten zu können. Und von neuen Ideen im Zuge seiner Mission, die Welt miteinander zu vernetzen, haben wir lange nichts gehört. Wir dürfen uns fragen, wonach er strebt. Seine Hochzeit einen Tag nach dem Börsengang von Facebook jedenfalls mutet beinahe an wie eine PR-Inszenierung von Menschlichkeit. Aber bleibt ein CEO im Urlaub, während an der Börse über 20% des Wertes verbrennen?

Gewappnet sein: Achtsamkeit auf dem Weg zum Erfolg

Gerade, wenn wir auf dem Pfad des Erfolgs schon ein gutes Stück vorwärts gekommen sind: Es ist nie zu früh, die eigenen Motive zu hinterfragen. Mit mehr Geld kommen neue Ansprüche: das schicke Auto, das Haus, vielleicht noch die Ferienwohnung und der Kredit für den Traum vom kleinen Segelboot, und schon sind wir von Verpflichtungen umzingelt. Schnell ist der Punkt erreicht, wo wir aufgrund unserer Verbindlichkeiten gar nicht mehr anders können, als konstant gut oder immer besser zu verdienen. Wenn der Druck hoch genug ist, wächst auch die Bereitschaft zu ethischen Kompromissen. Dann schnappt die Gier-Falle zu.

Denken wir einfach mal zurück: Wie sehr hat sich unsere eigene Anspruchshaltung über die Jahre verändert? Welche Werte lassen wir mit dem Erklimmen einer höheren Gehaltsstufe zurück? Wie wirkt sich das auf unsere Prioritäten aus?

Diskutieren Sie mit uns über Gier in der Facebook-Gruppe


Wir müssen nicht erst mit Milliarden hantieren, um unsere Werte zu kompromittieren. Schon mit wiederholten kleinen Zugeständnissen gegen unser persönliches Wertegerüst können wir auf Dauer selbst auf den Holzweg geraten. Die Gier, das haben die vergangenen Jahre gezeigt, ist eine der größten Gefahren für den menschlichen Fortschritt, denn gebündelt führt sie zu unkontrollierter Spekulation. So einfach es angesichts der Verfehlungen der Zuckerbergs dieser Welt ist, den eigenen Einfluss auf die Gemeinschaft von sich zu weisen: Achtsamkeit dürfen wir nicht erst praktizieren, wenn wir unsere Ziele erreicht haben. Vielmehr muss unser Ziel sein, bereits unseren Weg zum Erfolg achtsam zu gehen. Nur so können wir der Gier-Falle entkommen, die immer unterwegs lauert – auf jeden von uns.

Der Gier-Check: Impulsfragen für persönliche Achtsamkeit

  • Mit welchen Zielen haben Sie Ihre aktuelle Arbeit begonnen – stand die Idee/die Tätigkeit oder der Gewinn im Zentrum Ihrer Bestrebungen?
  • Sind diese Ziele Ihnen bei der täglichen Arbeit bewusst, oder denken Sie nur noch operativ, um Ihr Gehalt zu „verdienen“?
  • Denken Sie an Ihre Studien- oder Ausbildungszeit zurück: Was brauchten Sie damals zum Leben, um glücklich zu sein?
  • Vergleichen Sie den damaligen Anspruch mit dem heutigen: Was halten Sie heute für notwendig, damit Sie zufrieden sind?
  • Was besitzen Sie heute, was Sie sich vor zehn Jahren gar nicht zu wünschen gewagt hätten?
  • In welchen Abhängigkeiten stehen Sie, um Ihren Lebensstandard halten zu können?
  • Wie viele dieser Abhängigkeiten sind rein finanzieller Art?
  • Was macht Ihnen im Moment größere Sorgen: Ihrer Arbeit nicht mehr nachgehen zu können oder Ihre Verbindlichkeiten nicht mehr bedienen zu können?
  • Unsere Ansprüche werden auch von unserem Umfeld beeinflusst. Welche Bedürfnisse haben Sie erst entwickelt, seit Sie in Ihrem aktuellen Umfeld leben?
  • Haben Sie sich schon einmal dabei ertappt, etwas nur zu wollen, weil ein Nachbar, Kollegen oder Bekannte es haben?
  • Wie sehr lassen Sie sich in Ihrem Konsumverhalten von Suggestivbotschaften aus der Werbung beeinflussen?
  • Wenn Sie einen Wunsch äußern könnten: Wie hoch müsste Ihr Jahresgehalt sein, damit Sie aufhören, sich Sorgen zu machen? Wie begründen Sie das?
  • Wie hätten Sie die Frage nach dem Wunschgehalt vor zehn Jahren beantwortet?
  • Schreiben Sie Ihre Wünsche für die nächsten zehn Jahre auf. Wie viele Ihrer Wünsche setzen „das nötige Kleingeld“ voraus?
  • Wenn man Ihnen eine Stelle anbietet, die Sie zwingen würde, sich für zehn Jahre ganz und gar der Arbeit zu verschreiben und alles andere aufzugeben: Wie hoch müsste das Gehalt sein, damit Sie unterschreiben?


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