Ungeachtet des wachsenden Wertebewusstseins in der Wirtschaft hält sich noch immer hartnäckig das Gerücht, das Arbeitsleben sei als Quell der Freude ungeeignet. Gemeinschaftliche Tugenden wie Hilfsbereitschaft, Solidarität und Kooperation dürfe man dort erst gar nicht erwarten, so die Meinung einer Karriereberaterin auf Spiegel online. Stattdessen solle man sich für die Karriere lieber ausstaffieren wie für ein gewalttätiges Eishockeyspiel. Dabei spricht vieles dafür, dass die Zukunft des Arbeitens ganz anders aussieht: Unternehmen definieren sich zunehmend als Wertekatalysatoren. Und Arbeitnehmer haben durchaus die Wahl, ob sie sich egomanischen Ballerspielen mit Hierarchie-Zombies oder einer sinnbehafteten Aufgabe innerhalb einer produktiven Arbeitsgemeinschaft widmen wollen.
Weicheier: Klappe halten
Wir sollen uns also mal wieder zusammenreißen. Unsere Arbeitswelt ist einfach viel zu bequem geworden, heißt es. Nicht nur Geld verdienen wollen wir – Spaß soll das Ganze auch noch machen. Wer mit Konkurrenzdruck nicht klar kommt, solle sich mit den Regeln der Arbeitswelt auseinandersetzen und sein Helfersyndrom in den Griff kriegen. Und Soft Skills haben in der Arbeitswelt sowieso nichts verloren. Ellbogen raus, Knieschützer an, raus aufs Eis. Burnout, eine Volkskrankheit? Weichei-Gedöns, eine exotische Randerscheinung.
Excuse me? Doch, ja – manch einer sieht das aktuell scheinbar so. Und ich kann es den Pessimisten auch nur bedingt verübeln: Tatsächlich hätten wir in der Wirtschaft viel weniger unglückliche Menschen, wenn die Mehrzahl der Arbeitnehmer weniger Zeit mit der Außenorientierung und mehr Zeit mit einer tiefergehenden Selbstanalyse verbringen würden. Mit einer Kultur der Bequemlichkeit aber hat das – in der Masse – herzlich wenig zu tun. Viel mehr mit einer gesellschaftlichen Kultur der Angst im Arbeitsleben.
Arbeitsleben im Winterschlaf: Wenn es nur ums Geld geht
„Warum mache diesen Job?“ Leider gibt es keine globale Studie zu dieser simplen Frage, weil Wissenschaftler an deren Signifikanz zweifeln würden: So undifferenziert kann man das schwer hinterfragen. Sollte man aber trotzdem, finde ich. Mutmaßlich müssten wir dann nämlich erschrocken feststellen, dass die Antwort in einem hohen Prozentsatz der Fälle lauten würde: „Weil ich Geld verdienen muss.“ Ganz besonders da, wo die sitzen, denen an ihrem Job gar nichts wichtig ist – abgesehen vom Gehaltsscheck.
Die Pockets der Low Performer, vornehmlich herdenartig organisiert in den administrativen Wurmfortsätzen der Großkonzerne, lasten auf unserem wirtschaftlichen Erfolg, versauen die Statistiken über Mitarbeiterzufriedenheit, und ruinieren ganz nebenbei noch das Betriebsklima und die Motivation des ambitionierten Nachwuchses. Wer also der Meinung ist, in unserer Wirtschaft seien nur noch Weicheier am Werke, die hinter jedem Schreibtisch einen Burnout befürchten, der schaue in die verwinkelten Gänge der administrativen Winterschlafwirtschaft – und verlange dort nach mehr Zucht und Ordnung, bevor er die realen Härten der Arbeitswelt als urbanen Mythos verwöhnter Jammerlappen abtut.
Arbeitsleben in Angststarre: Wenn Fremdwerte die Biografie steuern
Unglücklicherweise sind es aber nicht nur die Low Performer, die es vor allem für Geld machen. Es sind viel zu oft leider auch die, die eben nicht Burnout schreien, weil sie Repressalien fürchten und glauben, sich uneingeschränkt aufopfern zu müssen. Die lieber alles hinnehmen, von lächerlichen Gehältern über massive Ausnutzung bis hin zum Mobbing – weil sie der Meinung sind, das Risiko eines Jobwechsels sei zu hoch. Oder weil sie glauben, Fremdwerte, die sie in ihren Job getrieben haben, seien wichtiger als die eigenen Kernwerte. Beide Glaubenssätze sind sehr häufige, aber ebenso fatal falsche Grundannahmen von Arbeitnehmern, und resultieren nicht aus Faulheit. Vielmehr sind sie Denkmuster einer Arbeits- und Unternehmenskultur, die nicht an Bequemlichkeit, sondern an Angst krankt.
Angst ist eine Karriereblockade par excellence. Und sie kommt gewiss nicht daher, dass es der Masse der Arbeitnehmer in Deutschland zu gut ginge. Sie ist, so schwer verdaulich diese Tatsache für Motivationsfetischisten auch sein mag, ein Fehler im System. Sie wurde über Jahrzehnte kultiviert von einer Führungselite, die ihre Egos über die Werte der Unternehmensgemeinschaft stellte und ihren Mitarbeitern jeden Mut zur Veränderung ausredete.
Wer verkündet, da müsse man im Arbeitsleben eben durch, der bestärkt diese Entwicklung nur noch: Fahren wir die Ellbogen noch weiter aus, und verschieben wir unser Bedürfnis nach einem Sozialleben auf den Feierabend. Wer so arbeitet, funktioniert – mal mehr, mal weniger, und meist nur für eine begrenzte Zeit. Beseelt arbeiten kann er nicht. Wer aber glänzen will, der muss beseelt sein. Und das funktioniert nur in einer intakten Unternehmensgemeinschaft, die an verbindlichen Werten ausgerichtet ist.
Beseeltes Arbeitsleben: Freude ist ein Erfolgsfaktor
Machtspielchen, Nebenkriegsschauplätze und Kämpfe um die Hackordnung sind der Produktivität abträglich. Nein, sie gehören nicht in eine gesunde Arbeitswelt. Und nein, es ist nicht richtig, dass wir uns mit ihnen abfinden müssten. Der reale Arbeitsmarkt nämlich – also nicht der antiquierte, der sich zur Verifizierung einer hübsch frechen These am besten mit dem Arbeitsmarkt der Trümmerfrauen vergleichen lässt – verändert sich keineswegs hin zu mehr Ego und mehr Härte. Er verändert sich vielmehr zugunsten einer angstfreien Generation von Arbeitnehmern, die wieder die Wahl hat. Demografie, Globalisierung, Netzgemeinschaft und Informationsdemokratie sorgen für eine wachsende Gruppe von Mitarbeitern – und Führungskräften – die lieber das tun, was ihnen wichtig ist, als das, was „man eben tun muss“. Sie fordern Wertebekenntnisse von Unternehmen, sie hinterfragen Unternehmenszwecke, und sie lassen sich auch nicht mehr bestechen, wenn es um die Grundfesten ihrer Persönlichkeit geht.
Die Avantgarde der Wirtschaft – in kleinen Startups genauso ansässig wie in einigen zukunftsorientierten Großkonzernen, die die Zeichen der Zeit nicht verpennt haben – hat sich auf den Wandel des Wertebewusstseins längst eingestellt. Wenn Konsumenten von Produkten und Dienstleistungen erwarten, dass sie Werte bedienen (Nachhaltigkeit, um nur ein Beispiel zu nennen) – wie soll diese Nachfrage bedient werden, wenn die Unternehmen selbst keinen Cent weit über ihre Werte nachdenken?
Werte sind keine Soft Skills. Werte sind die harten Wirtschaftsfaktoren der Zukunft.
Ein Leben in Angst oder Arbeiten mit Spaßfaktor? Sie haben die Wahl!
Und, um wieder auf die persönliche Ebene zurückzukommen: Was für eine Lebensperspektive soll das denn sein, die uns eine Biografie der Karriereprügeleien abverlangt und voraussetzt, dass wir unsere Persönlichkeit morgens beim Pförtner abgeben? Die traurige Aussicht auf ein Arbeitsleben, das man nur mit ausgeschaltetem Gewissen und bewaffnet bis unter die Zähne übersteht – genau die Perspektive, die in einem Arbeitsklima der Angst resultiert. Mit Angst aber feiert man keine Erfolge, wenn Erfolg in der Wirtschaft an Werte geknüpft ist.
Werte erblühen nicht in einem Klima der Angst, sondern in einem Klima der Freude. Und deshalb darf Arbeit nicht nur Spaß machen, sie muss es sogar. Erfolg im Zeichen des neuen Wertebewusstseins bemisst sich nicht in erster Linie am Gehalt, an der Hierarchiestufe oder an egogetriebenem Statusgeplänkel. Erfolg ist, auf Unternehmensebene, eine gemeinschaftliche Errungenschaft, und kann deshalb auch nur gemeinschaftlich wahrgenommen werden. Erfolg auf individueller Ebene bedeutet in dieser Kultur Erfüllung – das Ausleben der eigenen Kernwerte als Teil einer wertorientierten Gemeinschaft im Rahmen einer sinnerfüllten Aufgabe. Erfüllung empfindet jemand, der die Leidenschaft für das, was er tut, mit anderen teilen kann.
Wenn Sie also tatsächlich nur fürs Geld arbeiten: Ja, dann kündigen Sie. Lassen Sie sich nicht alles gefallen. Lassen Sie sich nicht einreden, Sie müssten jeden Tag mit einer vergifteten Unternehmenskultur zurechtkommen, weil in den Nachkriegsjahren auch niemand eine Wahl hatte.
Entscheidend ist diese Erkenntnis: Sie haben eine Wahl. Nutzen Sie diese Freiheit. Finden Sie heraus, was Sie wirklich leidenschaftlich wollen. Finden Sie eine Aufgabe, die zu Ihren persönlichen Kernwerten passt – und dann finden Sie eine Arbeit, bei der Sie sich dieser Aufgabe widmen können.
Es ist nicht frivol, Spaß an der Arbeit zu haben. Es ist vielmehr eine Grundbedingung des Erfolgs in einer Wirtschaftswelt, die sich an Werten orientiert.
Handlungsempfehlung: Finden Sie Ihre Kernwerte, bevor Sie einen Job suchen!
Lassen Sie sich nicht abschrecken: Die Angstkultur in der Wirtschaft hat ausgedient. Wenn Sie Ihren Job tatsächlich nur fürs Geld machen oder weil jemand Ihnen dazu geraten hat, überdenken Sie vorbehaltlos Ihre Wertmuster: Wer sich nicht darüber im Klaren ist, was ihn im Innersten antreibt, hat wenig Chancen auf ein erfülltes Arbeitsleben. Überwinden Sie Angstblockaden und lösen Sie sich von Fremdwerten und Zielkonflikten. Fragen Sie sich stattdessen: Für welche Aufgabe brenne ich? Was erwarte ich von meinem Arbeitsleben? Was an der Arbeit macht mir so viel Spaß, dass ich beseelt arbeiten kann? Welche Kernwerte lassen sich daraus ableiten? Wo sind diese Werte bestimmend für die Unternehmenskultur? Kurz und knapp: Treffen Sie immer wertorientierte Entscheidungen, wenn es um die Karriere geht – nie aber angstgetriebene.
Danke!
Spaß am Arbeiten ist der Motor für neue Ideen und Dinge. Wir brauchen das so dringend, um die anstehenden Probleme unseres Planeten bewältigen zu können. Ohnmacht, das möchte ich als alleinerziehende meinen Söhnen (5+7 Jahre) eigentlich nicht vermitteln. Ich möchte endlich mal andere Erfahrungen machen…..
Danke Anja Stang. Meine Erfahrung zeigt, dass schon jetzt die junge Absolventen-Generation sich gezielt Arbeitsgeber suchen, bei denen sie sich verwirklichen können in der Karriere. Verwirklichen im Arbeitsleben heisst für sie dabei nicht nur Geld, Macht und Einfluß – sondern eben auch eine gute work-life-balance im Arbeitsleben. Meine Reise gerade nach Kalifornien und Gespräche mit Unternehmenslenkern aus der Silicon Valley hat gezeigt, dass die erfolgreichen Start-Ups und Technologiefirmen dort sich schon komplett umorienteren in ihrer Unternehmenskultur: Der Mitarbeiter steht im Zentrum, nicht der Profit (siehe mein Beitrag vom 10.8.12). Dementsprechend werde Ihre Kinder sehr wahrschenlich schon bessere Arbeitsbedingungen vorfinden, als die älteren Generationen.